Wenn eine Saite fehlt – eine Besinnung zum Advent

Von Pastorin Diana Wolff, Bezirk Sehmatal im Erzgebirge

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht,
und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. (Jesaja 9,1)

Wenn eine Saite fehlt –  
oder von einer Gitarre mit Botschaft auf Wanderschaft

Dieses Jahr habe ich am Ewigkeitssonntag in den Gottesdienst eine Gitarre mitgebracht: Eine eher gewöhnliche Gitarre. Aber eine, die in einer Gemeinde wahrscheinlich schon für einige Zeit treu ihren Dienst getan hatte: viele Melodien gespielt, Gott gelobt, und Menschenherzen erfreut. Doch nun wurde sie dort schon länger nicht mehr gebraucht, stand irgendwo halb vergessen am Rand, und am Ende gefühlt sogar im Wege. Wie es sich wohl anfühlt, nicht mehr gebraucht zu sein? Erst voll dabei, und nun plötzlich am Rand.

Zudem hatte die Gitarre ihre Mängel: Sie hatte nicht nur eine kleine Delle und einen Kratzer, sondern ihr fehlte obendrein eine Saite. Vielleicht war genau die gerissene Saite der Anlass gewesen, sie zur Seite zu stellen. Nun war es aber genau diese fehlende Saite, die uns fragen ließ: Wie ist es wohl, wenn eine Saite fehlt? Wie ist es, wenn plötzlich jemand fehlt – rausgerissen aus dem eigenen Leben? Wie ist es, wenn da plötzlich eine Lücke ist, ein Schmerz, ein Verlust, der sich nicht einfach wegreden lässt? Wenn das Leben nicht mehr klingt wie zuvor? Weil zum Beispiel jemand ganz nahe Stehendes verstorben ist, vielleicht sogar der Partner oder ein Familienmitglied. Oder weil ein Freund weggezogen ist? Oder weil Gemeindeglieder gegangen sind, die einem nahe standen?

Bei der Gitarre lässt sich früher oder später einfach eine neue Saite aufziehen, nicht aber so im realen Leben: Da lässt sich keine Ersatzsaite aufziehen – und schon gar nicht einfach und schnell. Es braucht Zeit, ehe sich die übrig gebliebenen Saiten eventuell neu aufeinander eingestimmt haben, ehe sich vielleicht sogar neue Saiten hinzufügen, neue Freunde und Gefährten. Es braucht Zeit, ehe wieder eine neue Melodie erklingt – wenn auch anders als zuvor.

Am Ende erklang zwar im Gottesdienst am Ewigkeitssonntag noch die hellste Gitarrensaite – denn schließlich haben wir eine Zuversicht auf die Ewigkeit und auf Jesus Christus, der uns zugesagt hat: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. (Joh 8,12)

Aber eine neue Saite wurde noch nicht gleich aufgezogen. Und auch die Reise der Gitarre war noch nicht zu Ende:

Neun Tage später – und mittlerweile schon im Advent – kam die Gitarre zu einem neuen Kindertreff – und somit zu ihrem neuen Wirkungsort und zu einer neuen Aufgabe: Die Kinder freuten sich – trotz fehlender Saite: Eine Gitarre für uns! Ja, dort wird sie wieder gebraucht – und ein paar Kratzer stören nicht, und neue Saiten bekommt sie auch.

Aber die fehlende Saite lud nun auch die Kinder ein, sich zu fragen: Wo erleben wir eigentlich „Lücken“? : Wo fehlt uns etwas,  wo bedrücken uns heimlicher Kummer und Sorgen? Worüber sind wir traurig, was hat uns geärgert oder wo ist jemand krank?

Doch dann nahmen wir von einer der Weihnachtskrippen, die wir an dem Nachmittag aufgebaut hatten, das kleine, leuchtende Teelicht, und hielten dieses Licht in die Lücke der Gitarre hinein, genau hinter die fehlende Saite: Genau so als würde Jesus Licht nun als Hoffnung und Trost in diese Lücke hineinleuchten. Und das Licht erleuchtete nicht nur die Lücke, sondern auch den ganzen dunklen Gitarrenbauch:

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. (Jesaja 9,1)

Jesus sieht unsere Lücken, unsere Wunden, unseren Verlust. Jesus, der Retter, kennt unsere Ängste,  Kummer, Nöte, und Schwächen. Doch genau dahinein ist er gekommen. Zu uns und unseren Sorgen, Schwächen und Schmerzen: Um zu heilen, zu trösten, Hoffnung zu schenken, um zu ermutigen, zu stärken und beizustehen. Mitten in unsere Wunden und Unzulänglichkeiten hinein möchte er – das Licht der Welt – leuchten, damit wie nicht wandeln in der Finsternis, sondern das Licht des Lebens haben. Genau mitten in unsere Wunden und Unzulänglichkeiten hinein, möchte Jesus uns mit seinem göttlichen Licht berühren: Alle Jahre wieder – und auch sonst jeden einzelnen Tag.

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